Cover
Titel
Pop-Musik sammeln. Zehn ethnografische Tracks zwischen Plattenladen und Streamingportal


Autor(en)
Elster, Christian
Reihe
Studien zur Popularmusik
Anzahl Seiten
238 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Peter Hinrichs, Seminar für Europäische Ethnologie/Volkskunde, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Christian Elster analysiert in seiner Dissertation „Pop-Musik sammeln“ verschiedene Praktiken des Musiksammelns auf Basis qualitativer Interviews. Er untersucht den Zusammenhang von Subjektivität und Praxis in Verbindung mit den verschiedenen Medienformaten, in denen Musik gespeichert und verfügbar gemacht wird. Die unterschiedlichen Umgangsweisen mit Musik, das Sammeln, Ordnen und Hören von Tonträgern und Musikdateien steht auch in Relation zu ihrer technischen Aufbewahrung. Entsprechend spezifiziert Elster seine Forschungsarbeit mit dem Untertitel „Zehn ethnografische Tracks zwischen Plattenladen und Streamingportal“. Die Art, wie Musik in Form von Vinyls, CDs oder Mp3s gesammelt wird und auf diese Weise auch Bedeutungen für die Akteur:innen entfaltet, steht im Zentrum des Erkenntnisinteresses.

Der Einstieg in das Buch fällt durch den persönlichen Schreibstil des Autors angenehm leicht. Mit den Schilderungen eigener Erfahrungen führt Christian Elster die Leser:innen in seine Studie ein. Mit Verweisen aus seiner eigenen Biographie beschreibt er etwa, wie er im Alter von 16 Jahren durch einen Freund seines älteren Bruders darauf hingewiesen wurde, dass „Schallplatten hundertmal cooler seien als CDs“ (S. 7). Elster stellt zu Beginn des Buches unmissverständlich klar: „Ja, diese Arbeit über das Musiksammeln ist von einem Musiksammler geschrieben worden.“ (S. 9) Die Praxis des Musiksammelns wird nach diesem „Intro“ durch als „Tracks“ bezeichnete Kapitel gegliedert. Diese Differenzierung nimmt Elster hauptsächlich über die verschiedenen Trägermedien vor, auf denen Musik gespeichert wird, und zeigt dabei die Selbstverständnisse von Sammler:innen auf. Sein empirisches Material stützt sich dabei auf Interviews mit Sammler:innen, die Musik in Form von CDs, Schallplatten, Mp3s oder via Streaming kaufen, ordnen und hören. Durch die subjektzentrierte Vorgehensweise der Arbeit werden die Bedeutungsproduktionen der Sammler:innen in den Mittelpunkt gerückt. Die Strukturierung des Buchs in Form von „Tracks“ ist von dem Autor so konzipiert worden, dass die Leser:innen die Lektüre nicht zwingend chronologisch beginnen müssen, sondern der Metapher des Tracks entsprechend auch Kapitel „skippen“ und von einer anderen Stelle anfangen können zu lesen.

In „Pop als Feld“ skizziert Christian Elster verschiedene Facetten von „Pop“ als thematischen Bezugsrahmen des Musiksammelns und greift in diesem Kontext die Diskursstränge über das Widerstandspotenzial von Popmusik sowie ihre Relevanz unter der Perspektive der Postmoderne auf. Hierbei diskutiert er vielzitierte Ansätze, darunter prägende Arbeiten der britischen Cultural Studies, sowie Texte von Diedrich Diedrichsen, Markus S. Kleiner, Lawrence Grossberg und vielen weiteren. Für Studierende oder an diesem kulturwissenschaftlichen Schwerpunkt interessierte Kolleg:innen schafft Elster somit einen Überblick über die zahlreichen Beiträge, die in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Pop und Popkultur diskutiert werden.

Der Autor stellt entlang der folgenden neun Kapitel Zusammenhänge zwischen den durch die jeweiligen Medien strukturierten Praktiken und damit in Beziehung stehenden Subjektivierungsweisen her und zeigt somit die verschiedenen identitätsstiftenden Facetten des Musiksammelns auf. Die Bedeutungen, die etwa von Vinyl-Sammler:innen an den Erwerb und die Verwendung von Tonträgern geknüpft werden, unterscheiden sich mitunter stark von den Praktiken von Nutzer:innen von Streamingportalen. Drei „Tracks“ widmet Elster spezifischen Handlungen, die mit dem Sammeln von Musik zusammenfallen: Stöbern, Ordnen und Aussortieren. Zudem geht er im achten Kapitel „Der Sammler als (Anti-)Figur“ auf kulturelle Typisierungen von Sammler:innen ein, wie sie etwa in Spielfilmen wie „High Fidelity“ vermittelt werden, und bezieht sie auf sein Forschungsfeld.

Besonders die Differenz zwischen analoger und digitaler Mediennutzung rückt in der Abfolge der „Tracks“ immer wieder in das Zentrum der Arbeit. Der mit der Digitalisierung einhergehende Medienumbruch beeinflusst mithin auch das Verhältnis der Menschen zur Musik. Das Stöbern im Plattenladen nach Vinyls für die eigene Sammlung und das Durchsuchen von unzähligen Playlists auf Spotify verbinden sich dabei nicht bloß mit unterschiedlichen Nutzungsweisen von Musik, sondern auch mit verschiedenen Vorstellungen von Musiksammlungen. Der potenzielle Kauf und Besitz eines materiellen Tonträgers entfaltet einen anderen Effekt bei Konsument:innen als ein über ein Abonnement erworbenes Nutzungsrecht für einen nahezu unbegrenzten, immateriellen Musikvorrat. Im Zuge der verschiedenen „Tracks“ beschreibt der Autor das Musiksammeln als komplexe Subjektivierungspraxis. Elster vermeidet es hierbei, diese unterschiedlichen Sammelpraktiken und Medienformate bewertend zu vergleichen. Vielmehr zeigt er anhand der Aussagen seiner Gesprächspartner:innen, wie die verschiedenen Varianten an analogen oder digitalen Musiksammlungen von den Subjekten aufgefasst und verwendet werden.

Den im Kontext des Sammelns vorherrschenden Wissensordnungen spürt Elster in den einzelnen „Tracks“ gezielt nach. In seinen Ausführungen über Interaktionen im Plattenladen schreibt er: „Nicht nur kognitives Wissen um bestimmte Bands, Alben und Pressungen kommt hier zum Tragen, es geht auch um inkorporiertes Wissen, um habituell verinnerlichte Umgangsweisen und Technikkompetenzen.“ (S. 69) Die vielschichtigen sozialen Dynamiken und Distinktionsmechanismen zwischen Sammler:innen werden dabei verständlich. In den einzelnen Kapiteln spielen immer wieder auch die musikalischen Sozialisationen und biographischen Hintergründe der Beforschten eine Rolle für das Sammeln von Musik. In „Die Biografie einer Spice Girls-CD“ zeigt Elster, wie ein Tonträger der bekannten Girlgroup von einer Gesprächspartnerin entlang verschiedener Lebensphasen unterschiedliche Bedeutungen zugeschrieben bekommt. Der Zusammenhang zwischen Technik, materieller und immaterieller Aufbewahrung sowie den unterschiedlichen Funktionen von Musik im Alltag kulminiert in einer dichten Beschreibung der Sammler:innen, Sammlungen und Sammelpraktiken.

Am Ende schreibt Elster über seine „Verstrickungen im Feld“, sein „[m]ethodisches Repertoire“ und die „Zusammensetzung der Gesprächspartner:innen“. Er reflektiert hierbei nochmals seinen eigenen biographischen Bezug zum Thema sowie seine Positionierung im Feld und seine Vorgehensweise. Dieser Abschnitt hätte einen höheren Mehrwert entfaltet, wenn er bereits zu Beginn der Arbeit eingebracht worden wäre, da der Forscher hier bedeutsame Aspekte seines ethnographischen Zugangs hervorhebt. Auch wenn das Buch strukturell so erdacht ist, dass man es prinzipiell vom letzten Kapitel beginnen könnte, so bleibt dieser „Hidden Track“ aufgrund seines für die Lektüre erhellenden Inhalts dennoch etwas deplatziert.

Insgesamt legt Christian Elster mit „Pop-Musik sammeln“ einen lesenswerten und relevanten Beitrag zum breiten kulturwissenschaftlichen Forschungsfeld Popkultur vor, der mit seinem akteur:innenzentrierten Ansatz erkenntnisreiche Impulse liefert. Der Aufbau und der Schreibstil des Buches ermöglicht außerdem einen angenehmen Lesefluss. Da Elster den Stimmen seiner Beforschten genug Raum in seinem Text gibt, werden die individuellen Auffassungen zum Sammeln für Leser:innen sehr gut nachvollziehbar. Elster interpretiert die Aussagen seiner Gesprächspartner:innen dabei auf eine Weise, die einerseits mehr leistet als das Gesagte nur zu paraphrasieren, es andererseits aber auch vermeidet, dieses der theoretischen Perspektive des Autors im deduktiven Sinne unterzuordnen. Am Ende stellt Elster heraus, dass aus einer postmodernen Sichtweise das Sammeln „weniger diskursiven Regeln als vielmehr subjektiven Ordnungen folgt“ (S. 201). Dieses Fazit liest sich als folgerichtiger Schlusspunkt der vorangegangenen „Tracks“. Christian Elster zeigt letztlich mit seiner Arbeit, dass das Sammeln von Musik eine dynamische Praxis ist, die durch den Medienwandel auch neue Subjektivierungspotenziale birgt.

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Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/